1994 – Osten

Werke: Farkas, Planyavsky, Glasunow, Schulhoff, Leviev und Bartok

Nach vier Programmen, die sich in irgendeiner Form mit dem amerikanischen Einfluss in der europäischen Musik auseinandersetzten, machte dieses Programm Einflüsse aus dem Osten zum Thema. Neben Ausschnitten aus einem erratischen Block der Saxophonliteratur, dem Glasunow-Quartett, führte dieses Programm über die Toccata von Planyavsky – im Original für Orgel – und eine Komposition des bulgarischen Don Ellis-Pianisten Milcho Leviev zur Hot Sonate von Schulhoff, zu den ungarischen Tänzen von Farkas und den Bagatellen von Bartok.

Besetzung:

  • Urs Oettli – Sopransax
  • Daniel Schneider – Altsax
  • Urs Schoch – Tenorsax
  • Heinrich Baumgartner – Baritonsax
Quadrosax
Quadrosax gezeichnet von Amy Bollag an einem Konzert.

Pressestimmen

Ost – Vier Saxophone verzauberten das Siebner Publikum

Das Konzert der Quadro-Sax, welchen auch der in Schübelbach wohnhafte Lachner Urs Oettli angehört, am vergangenen Sonntag Abend im Pfarrsaal der katholischen Kirche in Siebnen begeisterte das Publikum

Von Lilo Etter
Dem Konzert der vier Saxophonisten Heinrich Baumgartner, Urs Schoch, Daniel Schneider und Urs Oettli musste ein sehr guter Ruf vorausgeeilt sein, strömte doch das Publikum in Scharen in den Pfarrsaal der katholischen Kirche in Siebnen. Für die vielen Zuhörer wurden noch einige Stuhlreihen und Einzelstühle den Fenstern entlang aufgestellt, damit alle einen Platz finden konnten. Den hinreissenden Klängen der vier Musiker folgten erstaunlich viele Kinder mit stillem und aufmerksamem Ernst.

Vier ungarische Tänze
Mit vier ungarischen Tänzen aus dem 17. Jahrhundert, arrangiert von Ferenc Farkas (geboren 1905), tauchte man schon mitten in die Thematik des Kon­zertes, das der östlichen Musik gewidmet war. Die vier unterschiedlichen Tänze, lebhaft, ruhig, fast traurig, höfisch spielerisch oder galoppierend wie ein springlebendiges Pferdchen, lies sen gerade vom ersten Stück weg keine Zweifel am grossen Können der vier Vollblut-Musiker.
Ihre Instrumente bildeten, einen einzigen K1apgkörper von Harmonie und Ausdrucksvermögen.
Der Baritonsaxophonist Heinrich Baumgartner führte das Publikum mit einigen erklärenden Worten durch den Abend. In dieser verrückten Welt von kulturellen Vermischungen verschiedensten Stile etwa im Fernsehprogramm oder in der Musik sei es heute schwierig geworden, sich ein Plätzchen zu erobern. Deshalb habe man für dieses Konzert die östliche Volksmusik etwa aus Russland oder Ungarn gewählt, die wichtig gewesen sei für-die Ausbildung der musikalischen Sprache

Grosse Ausdruckskraft
Peter Planyarsky (1947) schrieb Ende der 60er Jahre die Toccata a1la Rumba aus dem Choral «Nun danket all und bringet Ehr» für Orgel. Die Rumba eroberte in den 20er Jahren Europa und galt wie der Tango zunächst als unanständig. 
Das Ensemble wolle die angekündigte Komposition als eine Rezessionsversion nur für vier Saxophone vortragen. Sie enthielt zum Teil fremdartige Intonationen, das Baritonsaxophon gab den Rhythmus an. Zum Tanzen lud das Stück nicht ein, dafür war es zu kunstvoll ausgestaltet, wohl aber zum genauen Zuhören, denn es barg manch virtuoses Motiv. 
Die Canzona variee schrieb A1exander Glazounov (1865-1936) 1932 in Paris, wo er hängen blieb. Er sei einer der ersten russischen Komponisten gewesen, der die Volksmusik nicht mehr in seine Werke aufnahm, sondern unabhängig davon seine Stücke schrieb. Seine Variationen liessen etwas von der sprichwörtlichen russischen Schwermut durchklingen, wurden aber auch leichter, melodiöser und lebhafter.

Heute cool, gestern hot
Was heute im Umgangston cool genannt wird, bezeichnete man in den 30er Jahren noch als hot. So schrieb Erwin Schulhoff (1894-1942) im Jahre 1930 eine Hot Sonate für Altsaxophon und Klavier, mit der er nicht nur die damalige Stimmung in Berlin einfangen wollte. Nach Heinrich Baumgartner wurden zu jener Zeit auch Fragen zur modernen Entwicklung gestellt, es war auch in jenen Jahren, als Charlie Chaplin seinen Film «Modern Times» entstehen Iiess. Aufgehängt sei das Stück am A1tsaxophon von Daniel Schneider, die anderen drei Instrumente bildeten die Begleitung. 
Gespielt wurden drei Sätze der viersätzigen Sonate. Im ersten Satz war der Arbeitspuls der Maschinen oder der entstehende Massenverkehr herauszuhören. Man konnte musikalisch die ineinandergreifend sich drehenden Räder aus «Modern Times» förmlich mitverfolgen. Der zweite Satz, ein Blues, verkörperte das Leid der Schwarzen in Amerika. Schulhoff schrieb eine europäische Version dieser Stilrichtung, die nicht ganz so weich geriet und manchen Seufzer erahnen liess. Im dritten Satz hörte man förmlich die Zeit dahinrasen in der modernen Massenproduktion am Fliessband. Die Stechuhr bestimmte den Arbeitstag. Nur zwischendurch schimmerte die Müdigkeit des einzelnen durch.

Vielfalt der Rockmusik
Don Ellis (1934-1978) arbeitete mit dem bulgarischen Pianisten Milcho Leviev zusammen. Die amerikanische Musik beeinflusste die westeuropäische auch durch das Interesse in den Medien – immer mehr. In «Loose as a Goose», eigentlich für eine Bigband komponiert, zeigten die vier Saxophonisten, was in der Rockmusik der 60er und 70er Jahre stecken konnte. Sie wollten damit auch zeigen, dass sie nicht nur lauter «Meis» sein müsse, wie sich Heinrich Baumgartner ausdrückte, sondern eine grosse Vielfalt und Kunst erreichen könne. Eine besonders starke musikalische Gestaltung zeigte der Tenorsaxophonist Urs Schoch in seiner brillanten Soloeinlage.
Bei ihren Hauskonzerten in Zürcher Schulhäusern erlebten die vier Künstler in den letzten Jahren eine wachsende Toleranz für verschiedenste Musikrichtungen, äusserte Heinrich Baumgartner. Noch vor einigen Jahren hätten bei einem afrikanischen Flötenstück die jungen Zuhörer ungeduldig mit den Füssen auf dem Boden gescharrt oder den Musikern das Gefühl gegeben, nach einem Ländler am besten den Hinterausgang zu benützen. Heute sei eine Vielfalt von Stilrichtungen nebeneinander möglich. Und dieses breite Spektrum erfordere auch eine unglaubliche Portion von Toleranz. Die Musik sei jedoch in der Lage, dieses Akzeptieren zu schaffen.
Urs Oettli spielte im letzten Stück, einem traditionellen slawischen Volkslied, ein hinreissendes Solo auf seinem Sopransaxophon. 
Nach einem langanhaltenden, begeisterten Applaus spielten die vier Künstler ein Stück von Borodin, zu dem es nichts zu sagen gebe. Es war ein sehr ruhiges, kompaktes Werk, das zum Schluss nochmals die harmonische Einheit der vier Saxophone aufs schönste miterleben liess.

Konzert vom Sonntag, 22. Januar 1995